Mord mit dem Fleischwolf

Isabella Mueller @isabella_muenchen Wien

Am 22. November 1952 kurz vor Mitternacht bemerkte ein patrouillierender Wiener Revierinspektor, dass der Rollbalken des Feinkostgeschäftes in der Alser Straße Nummer 7 nicht ganz geschlossen war. Dies kam dem Inspektor verdächtig vor, weshalb er nachschaute. Er öffnete die unverschlossene Eingangstür und als er den Verkaufsraum mit seiner Taschenlampe ausleuchtete, machte er eine entsetzliche Entdeckung, die sich für immer in sein Gedächtnis einbrannte. Auf dem Boden lag in einer riesigen Blutlache ein Mann mit zertrümmertem Schädel und durchgeschnittener Kehle. Es stellte sich heraus, dass es sich bei der männlichen Leiche um den 44 Jahre alten Johann Arthold, besser bekannt als der Chadbury-König handelte. Dieser Spitzname stammte von der englischen Schokoladen-Marke, mit der sich der Gemischtwarenhändler Johann Arthold nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein staatliches Vermögen verdient hatte. Denn er ließ Mangelware der Schokolade auf oft illegale Weise nach Wien importieren, die er zu einem unglaublich niedrigen Preis verkaufte. Johann Arthold war ein 1,65 Meter großer verheirateter Familienvater, der sich dadurch einen luxuriösen Lebensstil leisten konnte. Neben jeder Menge nobler Autos, einem eigenen Rennstall und einem Kammerdiener, hatte er auch viele Geliebte. Doch schon bald musste sich der Chadbury-König von seinem kostspieligen Lebensstil verabschieden, da der sowjetische USIA-Konzern sein Geschäftsmodell adaptierte und seitdem die gesamte russische Zone mit Produktionsgütern aus dem Schwarzmarkt versorgte. Fortan backte Johann Arthold kleine Brötchen. Bei dem brutalen Mord stellte sich die Polizei die Frage, ob Johann Arthold von einem Konkurrenten bei dem er sich Geld geliehen hatte, das er nicht zurückzahlen konnte, ermordet worden war. Doch der Fund von zwei Straßenbahntickets in der Manteltasche des Ermordeten führte die Wiener Sicherheitsbeamten zu einer ganz anderen Spur. Anhand von diesen Tickets und Zeugenaussagen war Johann Arthold an der Endstation Grinzing eingestiegen und bis zur Alser Straße gefahren. Dabei wurde er von einer jungen 1,60 Meter großen, drallen Blondine mit braunem Pelzmantel begleitet. Mit dieser war Johann Arthold zuvor von 20 bis 23 Uhr im Heurigen Maly in der Sandgasse essen. Nun galt es diese Frau ausfindig zu machen. Diesmal half den Polizisten ein Zufall. Als sie die Stammlokale von Johann Arthold abklapperten, wurden im Nachtcafé Filmhof zwei diebische Bardamen verhaftet. Diese plauderten aus, dass sie Johann Arthold mit ihrer Kollegin Adrienne Eckhardt zusammen gesehen hatten. Noch am Nachmittag des 23. November 1952 wurde diese zur Befragung ins Wiener Sicherheitsbüro gebracht. Adrienne Eckhardt wurde am 26. Juli 1929 geboren. Ihre Eltern waren Oskar und Paula Eckhardt. Doch kurz nach der Geburt verlor ihr Vater seine Anstellung als Bankbeamter. Adrienne Eckhardt kam ins Internat des Klosters „Vom armen Kinde Jesu“ in Stadlau. Dieses Kloster wurde während des Zweiten Weltkrieges geschlossen und die Familie zog in die Wiener Neustadt. Der arbeitslose Vater erhielt eine Anstellung in einem Flugzeugwerk, während ihre Mutter in einem Rüstungsbetrieb arbeitete. Adrienne Eckhardt besuchte die Hauptschule in Reichenau und verbrachte viel Zeit bei ihrer paranoiden Großmutter. Nach Kriegsende machte sie eine Lehre als Säuglingsschwester in Wien-Glanzin und arbeitete nach ihrem Diplom in einem Wiener Kinderkrankenhaus. Zu dieser Zeit lebte sie mit einem Griechen zusammen, von dem sie schwanger war. Doch die Schwangerschaft musste sie wegen Gelbsucht abbrechen. Als der Grieche ihre Beziehung darauf beendete, erpresste sie ihn, worauf sie zu drei Monaten Haft verurteilt wurde. Ihr Leben geriet immer mehr auf die schiefe Bahn und sie begann als Bar- und Gesellschaftsdame ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Polizei vernahm Adrienne Eckhardt zunächst als Zeugin, da sie den brutalen Mord an Johann Arthold keiner Frau zutrauten. Doch als ein Passant auftauchte, der aussagte, dass er die junge Adrienne Eckhardt gemeinsam mit Artholdt gegen Mitternacht im Delikatessengeschäft gesehen hatte, geriet diese immer mehr ins Visier der Ermittler. Adrienne Eckhardt gab an, dass sie nur kurz im Geschäft gewesen war, um noch ein Bier mit Arthold zu trinken. Danach hatte sie das Geschäft verlassen. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung der Kleidung von Adrienne Eckhardt ergab jedoch, dass die Blutspuren auf ihrer Kleidung der Blutgruppe Artholds entsprachen. Sie musste also bei dem Mord zugegen gewesen sein. Mit diesen Indizien konfrontiert, gestand Adrienne Eckhardt, dass beim Bier trinken ein etwa 30 Jahre alter, 1,75 Meter großer, dunkelhaariger Mann im Dufflecoat den Laden betreten und Arthold mit den Worten: „Servus alter Gauner“ begrüßt hatte. Es kam zum Streit der beiden Männer, bei dem der Unbekannte einen Gegenstand aus seiner Manteltasche geholt und mit diesem mehrmals auf Artholds Kopf eingeschlagen hatte. Als dieser zu Boden fiel, befahl er Adrienne Eckhardt ein Messer zu holen, mit diesem durchtrennte er Artholds Kehle. Anschließend musste Adrienne Eckhardt das Messer mit einem Handtuch säubern. Die 30 Zentimeter lange Eisenstange mit der er auf Arthold eingeschlagen hatte, wusch er unter Wasser ab. Dann drückte er ihr die Scheine aus der Registrierkasse in die Hand. Adrienne Eckhardt verließ daraufhin das Geschäft, während der Mann noch dort blieb. Diesen Tathergang glaubte der Hofrat Franz Heger, Leiter der Mordkommission im Sicherheitsbüro, nicht. Er fragte Adrienne Eckhardt, ob sie als sie gegangen war, das Licht ausgeschaltet hatte. Diese bejahte die Frage. Sofort erkannte sie, dass sie in eine Falle getappt war. Denn keiner schaltet das Licht aus, wenn sich noch eine andere Person im Raum befindet. So wurde Adrienne Eckhardt auf frischer Tat beim Lügen erwischt. Daraufhin legte Adrienne Eckhardt ein Mordgeständnis ab. Als Motiv für den Mord gab sie Hass und Geldnot an. Denn Arthold verlangte von ihr abartige Sexspiele und da sie völlig mittellos war, stahl sie das Geld aus der Registrierkasse sowie dessen Brillantring. Adrienne Eckhardt hatte im Alter von 15 Jahren bereits Bekanntschaft mit Johann Arthold gemacht, der in der Nähe des Wohnhauses der Eltern ein Lebensmittelgeschäft betrieb. Oft lud er sie zu Kinobesuchen oder in den Heurigen ein, doch plötzlich brach der Kontakt ab. Ihre Wege kreuzten sich erst sechs Jahre später bei einem Pferderennen in Freudenau. Adrienne inzwischen 21 Jahre alt, war fasziniert von dem mittlerweile stadtbekannten Chadbury-König. Aber da es zu keinem sexuellen Kontakt kam, brach Arthold erneut den Kontakt zu Adrienne Eckhart ab. Dann trafen sie sich 1952 wieder. Die mittellose Adrienne Eckhardt bat Artholdt um eine Beschäftigung in seinem Geschäft, der lud sie stattdessen zum Heurigen Malfy ein. Am Abend trafen sie sich dort zum Essen. Danach fuhren sie mit der Straßenbahn zu seinem Delikatessengeschäft. Im Geschäft angekommen, wollte er Sex mit mit ihr haben. Daraufhin holte sie aus ihrer Tasche einen Fleischwolf, den sie bei ihrer Mieterin mitgenommen hatte, um sich vor Arthold zu schützen. In ihrem Hass auf seine widerlichen Sexwünsche schlug sie 40 Mal auf ihn ein. Als er blutend am Boden lag, schnitt sie ihm mit einem Wurstmesser die Kehle durch. Dann nahm sie Lebensmittel, 150 Schilling aus der Registrierkasse, 100 Schilling aus Artholds Manteltasche und seinen Brillantring mit. Den Fleischwolf reinigte sie und brachte diesen wieder ihrer Mieterin. Darum blieb die Mordwaffe trotz Hausdurchsuchung bei Adrienne Eckhardt unentdeckt. Dieses Geständnis widerrief die schwangere Adrienne Eckhardt aus der U-Haft, in der sie auf ihren Prozess wartete, Anfang Februar 1953 wieder. Diesmal behauptete sie, dass ein Mann namens Konstantin Bertini, den sie in der Bar Moulin Rouge kennengelernt hatte, den Mord an Johann Arthold begangen hatte. Konstantin Bertini war ein Rauschgifthändler, der ihr einen guten Verdienst als Morphium-Dealerin versprochen hatte. Sie warb Johann Arthold als ihren Kunden an. Doch dieser konnte nicht zahlen, da er kein Geld hatte. Bertini besuchte diesen in der Mordnacht und forderte das ausstehende Geld. Als dieser sich weigerte zu zahlen, schlug Bertini mit dem mitgebrachten Fleischwolf auf Arthold ein und schnitt ihm anschließend die Kehle durch. Nachdem Mord befahl er ihr den Ring und das Geld mitzunehmen. Mit diesem Geständnis hatte sie so lange gewartet, weil sie erst vor kurzem erfahren hatte, dass sie schwanger war und sie wollte daraufhin nicht, dass ihr Kind ihr eines Tages mit Verachtung entgegen stehe. Diese Version glaubte jedoch niemand, auch Konstantin Bertini konnte nicht ausfindig gemacht werden. Der Prozess gegen Adrienne Eckhardt fand am 23. März 1953 unter großem öffentlichen Interesse statt. Leute übernachteten sogar vor dem Schwurgerichtssaal, um der Verhandlung beizuwohnen. Pünktlich um 9 Uhr morgens eröffnete der Landesgerichtspräsident Rudolf Neuman den größten Indizienprozess seit 1945. Adrienne Eckhardts Verteidigung übernahm der Staranwalt Michael Stern. Die Anklage wurde von dem Ersten Staatsanwalt Otto Störmann vertreten. Adrienne Eckhardt gestand im Prozess lediglich, dass sie Konstantin Bertini bei dem Mord geholfen hatte. Die anfänglichen Antisympathien schlugen rasch wegen der unfairen Verhandlung in Sympathien für die schwangere Frau mit dem unschuldigen Engelsgesicht um. Am späten Abend des 24. März wurde Adrienne Eckhardt wegen meuchlerischen Raubmord im Sinne der Anklage für schuldig befunden und zu lebenslangen, schweren Kerker verurteilt. Ihr Anwalt legte Berufung ein und erreichte, dass die Strafe auf 20 Jahre verkürzt wurde. Kurz danach brachte Adrienne Eckhardt eine gesunde Tochter zur Welt. Im November des Jahres 1967 wurde sie noch vor ihrer eigentlich vorgesehenen Entlassung im Januar 1973 anlässlich einer Weihnachtsamnestie bedingt entlassen. Sie bekam eine neue Identität und zog in ein anderes Bundesland. Dir wünsche ich viel Freude mit meinen Fotos vom Narrenturm, der sich in der Alster Straße befindet, wo auch das Geschäft des legendären Chadury-Königs sich einst befunden hatte, in dem er ermordet worden war. 🙂

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