Die größte der Orkney-Inseln, einem Archipel aus 70 Inseln, ist Mainland, deren Hauptort mit über 7.000 Einwohnern Kirkwall ist. In diesem beschaulichen Städtchen ereignete sich im Sommer 1994 ein furchtbares Verbrechen, das erst nach Jahrzehnten aufgeklärt werden konnte. Am 2. Juni 1994 besuchte der Geschäftmann Donald Glue zusammen mit seiner Familie das indische Restaurant Mumutaz Tandoori in der Bridge Street in Kirkwall. Dort wurden sie wie immer vom freundlichen Kellner, dem 26 Jahre alten Shamol Mahmood, bedient. Als er ihnen gegen 19.15 Uhr die Speisen an den Tisch brachte, kam ein Mann mit Kapuzenpullover und Sturmhaube schnurstracks auf Shamol zugelaufen. Er richtete eine Pistole auf ihn und drückte ab. Dann flüchtete er aus dem Restaurant. Sofort verfolgten ihn Donald Glue und sein Schwager. Doch der Mörder konnte entkommen. Shamol war durch seine Brille ins linke Auge geschossen worden. Die Kugel durchschlug den Kopf und blieb in der Wand stecken. Eine einzelne Patronenhülse fiel auf den Teppich. Shamol war sofort tot. Wer hatte den stets netten Shamol getötet und warum? Shamsuddin, Shamol genannt, wurde als jüngster von 7 Söhnen in Dhaka in einer Familie von insgesamt 11 Kindern geboren. Im Alter von 24 Jahren hatte er seinen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der National University of Bangladesh abgeschlossen. Er hatte eine feste Freundin, die Medizin studierte. Doch nach einer heftigen Auseinandersetzung mit seinen Freunden, fasste er den Beschluss 1992 zu seinem Bruder nach London zu reisen, der dort als Anwalt arbeitete. Shamol wollte nun auch Jura studieren. Doch das Studium langweilte Shamol schnell. Er zog nach Southampton, wo er seinen Lebensunterhalt als Kellner bestritt. Anno 1993 besuchte er die Orkney-Inseln. Er las dort, dass das indische Restaurant Mumutaz Tandoori einen Kellner suchte. Spontan bewarb er sich und lebte für 9 Monate in Kirkwall. Er verliebte sich dort nicht nur in die zerklüftete Felsenlandschaft, sondern fand dort auch eine Freundin. Nach der Saison reiste er zu seinem Bruder nach London, wo er wieder als Kellner arbeitete. Doch bald kam es zwischen den Brüdern zum Streit, da Shamol sein Jura-Studium nicht fortsetzen wollte. Er wollte zurück nach Kirkwall, um dort zusammen mit seiner neuen Freundin zu leben, was er nach dem Streit auch tat. Im April 1994 war Shamol wieder nach Kirkwall zurückgekehrt, wo er wieder als Kellner im indischen Restaurant arbeitete. Sechs Wochen waren seit dem vergangen bis er an jenem Sommerabend eiskalt getötet wurde. Der Detective Superintendent George Gough glaubte den Mord schnell aufklären zu können. Schließlich gab es 14 Zeugen im Restaurant und 7 Zeugen, die den Täter gesehen hatten. Doch die Aussagen waren so unterschiedlich, dass sie der Polizei nicht weiter halfen. Schließlich lag der letzte Mord 25 Jahre zurück. Kirkwall galt als sichere Stadt, in der jeder jeden kannte. Die Polizei ermittelte auf Hochtouren und ließ die Insel nachdem das Ermittlerteam aus Inverness zur Unterstützung der Mordermittlungen eingetroffen war, abriegeln. Der Mord an Shamol glich einem Auftragsmord. War Shamol in Drogengeschäfte verwickelt? Zeugen sagten aus, dass sie um Mitternacht zwei Männer gesehen hatten, die vor dem indischen Restaurant gestritten hatten. Eine Frau, die eine ähnliche Telefonnummer wie das Restaurant hatte, hatte zudem eine Morddrohung erhalten. Shamol, der als Kellner arbeitete, verfügte über größere Geldsummen. Er hatte sogar seinem Bruder in London 3.000 Pfund geliehen, der sein Haus damit sanieren wollte und dieselbe Summe lieh er auch seiner neuen Freundin. Woher stammte das Geld? War der Mörder gar ein Ex-Freund seiner neuen Freundin, der seinen Nebenbuhler auslöschen wollte? Doch die Ermittlungen in Shamols Leben ließen nichts darauf hindeuten, dass dieser in irgendeiner Weise in krumme Geschäfte verwickelt war, noch dass er mit jemanden Streit hatte. Da der Mord einer Hinrichtung glich, lag das Motiv vielleicht im Rassenhass. Eine andere Erklärung gab es nicht. Der Besitzer des indischen Restaurants Moina Miah wurde mit seiner Familie unter Polizeischutz gestellt. Die einzige heiße Spur der Polizei war die am Tatort gefundene Kugel und ihre Patronenhülle. Der Waffenexperte Constable Edmund Ross wurde beauftragt, die Kugel zu identifizieren. Eddy, wie er genannt wurde, beschlagnahmte alle Waffen auf dem Festland und führte Tests durch. Aber es gab keine Übereinstimmungen. Die 9-Millimeter- Kugel stammte aus der Armee, die nach Tests abgelehnt worden war, da sie nicht hochwertig genug war. Wie kam so eine Kugel nach Kirkwall? Zwei Monate waren nach dem Mord vergangen als Eddy gegenüber dem Detective Inspector Chisholam am 12. August 1994 gestand, dass er eine versiegelte Schachtel mit genau einer solchen Munition besaß. Wie er in den Besitz der Kugel gekommen war, wollte er zunächst nicht sagen und auch nicht warum er dies so lange verheimlicht hatte. Bei der Hausdurchsuchung fand die Polizei die versiegelte Schachtel mit der vollen Anzahl von 35 Kugeln. Diese hatte ihm sein Schulfreund, ein pensionierter Offizier der Royal Navy, James Spence, geschenkt, der die Aussage bestätigte. Mittlerweile hatte sich bei der Polizei eine Mutter und eine Tochter gemeldet, die einen jungen Mann mit Sturmhaube und Kapuzenpullover zwei Wochen vor dem Mord in einem Waldgebiet neben ihren Haus gesehen hatten. Das Waldgebiet Papdale Woods befindet sich zwischen der örtlichen Sekundarstufe und dem Schulheim. Der junge Mann ahmte Kommandomanöver nach. Dies bestätigten 7 Schüler der Sekundarstufe. Doch niemand wusste, wer er war. Dann sahen Mutter und Tochter den Mann drei Monate später aus einer Bäckerei in Kirkwall kommen. Sie riefen die Polizei, die das CCTV-Sicherheitsmaterial der Bäckerei überprüfte. Es kam eine unglaubliche Sensation heraus. Denn der junge Mann war der 15 Jahre alte Michael Ross, der Sohn von Eddy. Michael, der die örtliche Sekundarstufe besuchte, war wie die ganze Familie ein Militärfan. Er war wie sein Bruder Mitglied der örtlichen Armeekadetten und nahm regelmäßig an Schießübungen teil. Die Polizei durchsuchte Michael Ross Zimmer. Dort fanden sie eine Sturmhaube sowie eine deaktivierte 9-Millimeter-Maschinenpistole, die an der Wand hing und ein Geschenk seines Vaters war. Zudem wurde ein Notizbuch mit Hakenkreuzen gefunden. Michael Ross wurde am 24. September 1994 von der Polizei verhört. Er bestritt irgendetwas mit dem Mord an Shamol zutun zu haben. Er sagte aus, dass er am 2. Juni mit seinem Fahrrad zur Wohnsiedlung Papedale East gefahren war, wo er gegen 19 Uhr zwei Freunde seiner Schule getroffen hatte. Er erzählte ihnen, dass er am Vortrag nach einer Sitzung der Armeekadetten jemanden zusammengeschlagen hatte. Danach radelte er nach Hause, wo er gegen 20 Uhr eintraf. Nach zwei weiteren Monaten änderte Michael seine Aussage. Er gab an, dass er zwei Wochen vor dem Mord im Wald ein Manöver geübt hatte, da der Ex-Freund seiner Freundin, Jamie Weatherhill, diese missbraucht hatte. Er wollte ihn damit konfrontieren, doch Jamie tauchte nicht auf. Die Polizei war sich sicher, dass Michael Ross Shamol Mahmood getötet hatte. So hatte Jamie Weatherhill Kirkwall bereist verlassen noch bevor Michael im Wald gesehen worden war. Außerdem stimmte sein Alibi nicht, da seine Freunde nicht bestätigen konnten, dass sie am 2. Juni 1994 mit ihm gesprochen hatten. Michael Ross wurde am 6. Dezember 1994 verhaftet. Warum seine Freunde nicht eindeutig bestätigen konnten, dass er mit ihnen am Mordabend geredet hatte, konnte er sich so gar nicht erklären. Die Polizei ließ Michael Ross gehen, da sie nicht genügend Beweise gegen ihn hatte. Eine Gegenüberstellung mit Zeugen, die den Schützen nach der Tat aus dem Restaurant fliehen gesehen hatten, ergab nichts. Niemand erkannte Michael. Lag es daran, dass niemand einem 15-Jährigen einen solchen eiskalten Mord zutraute? Im März 1995 sagte einer von Michaels Kinderfreunden, das Michael bei einem ihrer Treffen die Pistole seines Vaters heimlich mitgenommen hatte. Auch James Spence, Eddy Freund, änderte seine Aussage. Er gestand, dass er Eddy zwei Kisten mit der seltenen Munition gegeben hatte. Eine war versiegelt, die andere geöffnet. Eddy hatte ihn gebeten, dies zu verheimlichen. Die geöffnete Kiste konnte die Polizei bei der Hausdurchsuchung jedoch nicht finden. Constable Ross wurde suspendiert. Das Verbrechen an Shamol spaltete Kirkwall. Die Ross-Anhänger wurden “The Mob on the Hill” genannt, die lautstark gegen die Hexenjagd der Polizei gegen Michael demonstrierten. Anno 1997 wurde Eddy Ross wegen Rechtsbeugung zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach 2 Jahren wurde er entlassen und kehrte auf die Orkney-Inseln zurück, wo er Arbeit in einem Bestattungsunternehmen fand. Michael absolvierte die High School in Orkney und ging danach zur Armee. Er unterschrieb beim alten Regiment seines Vaters dem “Black Watch Baltation of the Royal Regiment of Scotland.” Er wurde schnell Unteroffizier und im Irak-Krieg 2004 eingesetzt. 2005 wurde er wegen seiner herausragenden Taten im Irak-Krieg ausgezeichnet. Michael Ross war inzwischen verheiratet und Vater zweier Töchter. Sein Leben schien perfekt. Doch 2006 betrat William Grant die Polizeiwache in Kirkwall. Er gab einen Brief ab. Darin stand, dass er Michael Ross zum Zeitpunkt des Mordes an Shamol Mahmood mit einer Pistole gesehen hatte. Damit konnte die Polizei Michael Ross endlich anklagen. Aus Angst hatte er geschwiegen, da diesbezügliche Aussagen zu Bedrohungen und Beschimpfungen gegen geführt hätten. 2008 fand der Prozess gegen Michael Ross vor dem High Court in Glasgow statt, der in der Presse nur noch “The Schoolboy Assassin” genannt wurde. Es gab weder forensische Beweise noch die Tatwaffe. Doch Zeugenaussagen belasteten Michael Ross schwer, da dieser immer wieder rassistische Bemerkungen wie “Schwarze sollten erschossen werden” gemacht hatte. Die 15-köpfige Jury befand nach 5 langen Wochen Michael Ross des Mordes an Shamol Mahmood für schuldig. Er wurde zu mindestens 25 Jahre Gefängnis verurteilt. Als er das Urteil hörte, rannte er davon, konnte aber vom Wachmann wieder in Gewahrsam genommen werden. Nach seiner Inhaftierung entdeckte die Polizei in einem von Michael Ross gemieteten Auto, das auf dem Tesco-Parkplatz in der Nähe des Gerichtsgebäudes geparkt war, dass er sich auf eine Flucht vorbereitet hatte. Selbst eine Waffe hatte er nach Schottland vom Kosovo geschmuggelt. Eine erneute Flucht plante Michael Ross als er vom Shotts-Gefängnis zum Monklands-Krankenhaus in North Lanarkshire verlegt wurde. Auch 2016 und 2018 plante Michael Ross seine Flucht. Beide Versuche scheiterten. Bis heute beteuert Michael Ross seine Unschuld, für die sich viele Unterstützer einsetzen. Es gab Zweifel. Die Körpergröße des Angreifers stimmte nicht. Zudem hielten mehr als 20 Zeugen den Schützen für muskulös, der 1, 75 bis 1,83 Meter groß war. Micheal war als Erwachsener jedoch nur 1,70 Meter groß und als Teenager nicht muskulös, sondern drahtig gewesen. Ein anderer Punkt war, dass Shamols Tagebuch, während der Ermittlungen verschwand. Es gab eine Reihe von Zeugen, die sagten, dass Shamol vor seiner Ermordung “unruhig und besorgt” gewirkt hatte. Fürchtete er da bereits um sein Leben? Eine Berufung wurde 2012 ebenso wie das Urteil wegen eines Justizirrtums aufzuheben, abgelehnt. Anfang Juni 2018 wurde der Fall vom Menschenrechtsanwalt Aamer Anwar übernommen. Über Crowdfunding wurde von der Gruppe “Justice for Michael Ross” 20.000 Pfund gesammelt, um diesen Anwalt zu bezahlen. Fakt ist, dass Michael Ross von 15 Menschen verurteilt worden war, die sich sicher waren, dass er den kaltblütigen Mord an Shamol begangen hatte. Was glaubst Du, war er der Täter? Dir wünsche ich viel Freude mit meinen Fotos von Kirkwall, wo einst Shamol Mahmoods Leben einfach eiskalt ausgelöscht worden war. 🙂














