Ein schmächtiger, blasser Mann mit akkurat gekämmten Seitenscheitel und randloser Brille schaffte es über zehn Jahre lang eine gebildete, französische Adelsfamilie über drei Generationen nicht nur unter seine Kontrolle, sondern auch um ihr ganzes Vermögen zu bringen. Bei dem Manipulator handelt es sich um Thierry Tilly, der die adelige Großfamilie de Védrines wie Marionetten in einem Puppentheater nach seiner Pfeife tanzen ließ. Doch wie gelang es Thierry Tilly eine Adelsfamilie bestehend aus einer betagten Mutter, drei erwachsenen Kindern, deren Partnern sowie deren Enkelkindern in seinen Bann zu ziehen und sich komplett von der Außenwelt zu isolieren? Alles begann im Jahr 1996 als die 50 Jahre alte Ghislaine Marchand, sich um die Verwaltung, der sich in der finanziellen Notlage befindenden höchsten Sekretariatsschule von Paris “La Femme Secrétaire”, die ihre Tochter besuchte, kümmern wollte. Diese bat den Anwalt Vincent David um Hilfe, der ihr Thierry Tilly als Berater empfahl. Ghislaine Marchand ist eine Geborene de Védrines, eine alte Adelsfamilie Frankreichs, die zum Zeitpunkt als sie Thierry Tilly kennen lernte, zusammen mit ihrem Ehemann Jean, einem Wirtschaftsjournalisten und ihren gemeinsamen Kindern in Paris lebte. Thierry Tilly wurde schnell die rechte Hand und engster Vertrauter von Ghislaine Marchand. Sogar in den Sommerurlaub im Jahr 2000 in ihrem Ferienhaus unweit des Familienschlosses in Montflanquin nahm sie Tilly mit. Dort lernte dieser auch die anderen Familienmitglieder der Adelsfamilie de Védrines kennen. Besonders Ghislaine 1913 geborene Mutter Guillemette de Védrines und ihr Bruder Philippe, ein ehemaliger Offizier, waren angetan von dem eloquenten Tilly, der vorgab ein Büro im Verteidigungsministerium zu haben und als Geheimagent für die UN und für die Nato zu arbeiten. Tilly schaffte es durch strategische Psycho-Spielchen das Vertrauen der ganzen Familie zu gewinnen und ihnen einzureden, dass Freimaurer das Leben ihrer Familie bedrohen. Darum installierte die Familie auf ihrem Schloss überall Überwachungskameras und schottete sich komplett von der Außenwelt ab. Nur Ghislaine durfte das Haus verlassen, um Einkäufe zu tätigen. Ihr Ehemann Jean Marchand, der sich kritisch gegenüber Tilly verhielt, wurde per Email von Tilly von der Familie ausgeschlossen. Ghislaine ließ sich scheiden. Ihr Ehemann wandte sich 2003 an die Regionalzeitschrift Sud-Ouest und berichtete von den Machenschaften Tillys. Doch es geschah nichts. Thierry Tilly verschaffte sich unterdessen Zugriffe auf das Vermögen der Familie. Wegen eines Betrugsdeliktes durfte Tilly zehn Jahre lang kein in Frankreich Unternehmen führen, weshalb er nach Oxford ging. Trotz dass Tilly nicht mehr in Frankreich war, hatte er die komplette Kontrolle über die Familie, die er per Email und Telefon kontrollierte. Die Enkelkinder Amoury, Guillaume und Diane holte Tilly nach Oxford in sein Mietshaus. Sie mussten als Kellner und Verkäufer arbeiten und ihren Verdienst an Tilly abdrücken. Dies änderte sich erst als ein Streit zwischen Ghislaine und Phillipe so sehr eskalierte, dass Philippe die Polizei 2008 um Hilfe bat. In der Zwischenzeit hatte sich Christine, die Ehefrau des jüngsten Sohnes der Védrines, Charles-Henri, ihrem Arbeitgeber, dem französischen Adeligen Bobby de Pouget Saint-Victor, bei dem sie in seiner Firma “Oxford Fine Food Company” jobbte, anvertraut. Dieser riet ihr den Familienclan, die sie nicht nur als Geisel hielten, sondern auch folterten, zu verlassen. Tatsächlich schaffte es Christine nach Frankreich zu fliehen, wo sie mit Hilfe des Anwalts Daniel Picotin Anzeige gegen Tilly erstattete. Dieser wurde am 21. Oktober 2009 auf dem Züricher Flughafen verhaftet und nach Frankreich ausgeliefert. Thierry Tilly, der insgesamt 11 Familienmitglieder psychisch manipuliert und terrorisiert und um ihr gesamtes Vermögen von 4,5 Millionen Euro sowie ihrem Familienschloss Martell gebracht hatte, wurde im Berufungsverfahren zu zehn Jahren Haft, zwei Jahren mehr als in der ersten Instanz, verurteilt. Dies war die höchstmögliche Strafe für “Freiheitsberaubung, Ausnutzung von Schwäche von Personen in psychischer Abhängigkeit und Gewaltanwendung gegen verletzliche Personen”. Tillys Komplize Jacques Gonzales ein schwer Behinderter im Rollstuhl sitzender Mann, der durch eine angebliche Wohltätigkeitsstiftung “Blue Lights” Geld von der Familie de Védrines ergaunert hatte, wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Thierry Tilly selbst bezeichnete diesen als seinen Chef. Fest steht, Thierry Tilly war ein meisterhafter Manipulator, der der Familie nach seiner Verhaftung noch glauben machte, dass er Opfer einer Verschwörung sei. Die Gehirnwäsche hatte perfekt funktioniert. Mittlerweile weiß die Adelsfamilie de Védrines, dass sie auf einen Hochstapler hereingefallen war, der sie um ihr ganzes Erbe gebracht hatte. Thierry Tilly, der Guru wie in die französische Presse taufte, wurde 2018 aus der Haft entlassen. Dir wünsche ich viel Freude mit meinen Fotos von dem Einkaufszentrum “Les Docks Village” in der französischen Hafenstadt Marseille. 🙂















