Was heute kaum noch jemand weiß ist, dass der Landkreis Lindau bis 1956 ein eigener Staat war, der ab Dezember 1946 von dem damals 58 Jahre alten gebürtigen Bregenzer Anton Zwisler regiert wurde. Doch wie kam es dazu? Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die französischen Truppen Teile des Allgäus annektiert. Darunter war auch der bayerische Kries Lindau, den sie im Gegensatz zu den Kreisen Sonthofen und Kempten nicht an die Amerikaner abgaben, da sie diesen als Landbrücke zwischen ihren Besatzungszonen in Württemberg und Vorarlberg brauchten. Anton Zwisler, der “König von Lindavien”, wie er von der Bevölkerung genannt wurde, machte allein die Gesetze und führte diese auch aus. Unter ihm eröffnete auch 1950 das erste Spielcasino, das Menschen aus Österreich und der Schweiz scharenweise anlockte und beachtliche Steuereinnahmen und Gewinne für den Kreis Lindau brachte. Durch diese Einnahmen wurden Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Schwimmbäder, ein Eisstadion und der erste Theaterbau nach dem Krieg gebaut. Anton Zwisler hatte mehr Macht als jeder Ministerpräsident. Zwar hatte er ein sechsköpfiges Team an seiner Seite, doch kontrolliert wurde er einzig von der französischen Militärregierung, die sich meist zurückhielt. Aufgrund der Dreiländerecke und der badischen Grenze mit der Schweiz von Konstanz bis Basel war Lindau ein wahres Schmugglerparadies. Zudem war Lindaus Zollfahndungsstelle schlichtweg personell unterbesetzt, deren einzige Waffen Gummiknüppel waren. Darüber hinaus durften alliierte Fahrzeuge nicht kontrolliert werden, deshalb benutzten die Schmuggler genau diese. Die Schmuggler hatten an der Zollfahndungsstelle Lindau ein leichtes Spiel, um unverzollte und unversteuerte Ware in den Inlandsverkehr zu bringen. Natürlich wurden verbrauchssteuerpflichtige Waren wie Kaffee, Kakao und Zigaretten sowie alles, was wertig und begehrt war, geschmuggelt. Das Schmuggelgut Nummer 1 war Kaffee. Während der Währungsreform 1948 wurde fast nur Ersatzkaffee verkauft. Hinzu kam die Weltkaffeeknappheit. So konsumierte die USA 70 Prozent des Weltumsatzes an Kaffee, wenn die Nachfrage in Europa stieg und die Ernte schlecht ausfiel, war Kaffee schlichtweg Mangelware. Der Import von Kaffee in die Bundesrepublik blieb bis der Kreis Lindau am 27. März 1956 wieder vom Freistaat Bayern einverleibt wurde, dort. Kaffee galt als gewinnbringende Schmuggelware, da dieser mit erheblichen Abgaben belegt war. Bei der Einfuhr von Rohkaffee wurden 160 Deutsche Mark Einfuhrzoll je Doppelzentner fällig, anschließend waren Kaffeesteuern von 10 Deutsche Mark und danach von 30 Deutsche Mark je Kilogramm Rohkaffee und 3 Prozent Ausgleichssteuer vom Wert nach Verzollung zu zahlen. 1 Kilogramm Rohkaffee wurde nach der Währungsreform mit 54 Deutsche Mark besteuert, erst im November 1948 wurde dies auf 13 Deutsche Mark gesenkt. Deshalb blieb der Kaffee nach der Währungsreform das Schmuggelgut schlechthin. Dieser Schmuggel sorgte für die Lindauer-Kaffee-Schmuggelaffäre. Dabei galt der 25 Jahre alte Erich Grabher als Initiator des amtlich fingierten Kaffeeschmuggels. Dieser schlug dem Kreispräsidenten Zwisler und dem Hauptzollamtsvorsteher Adolf Wölfle folgendes vor, um dem Schmuggel angeblich Herr zu werden. Zunächst sollten kleinere Kaffee-Sendungen ungehindert und unverzollt über die Grenze bis zu den Abnehmern gelangen. Dadurch sollte der Eindruck bei den Schiebern entstehen, dass es ihren V-Männern gelungen war, die Zollbeamten zu bestechen und es nun einen risikolosen Weg nach Westdeutschland gab. Nach dieser Toleranz-Partie sollten die Schieber größere Sendungen schicken, die der Zoll beschlagnahmte. Der konfiszierte Kaffee wurde zugunsten der Lindauer Staatskasse versteigert. Die erste sogenannte Toleranz-Partie fand im Juli 1949 statt. Insgesamt gab es von Lindau aus 9 “Toleranz-Partien” mit getarnter Zollbegleitung und gefälschten Zoll-Urkunden in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei wurden 83.000 Kilo Rohkaffee den Schiebern zoll- und abgabefrei überlassen. Dadurch ging dem Fiskus 1,5 Millionen Deutsche Mark durch den Lappen. In Lindau wechselten sich eine Toleranz-Partei mit einer Beschlagnahme ab, die wiederum Geld in die Lindauer Staatskasse spielte. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Es kam am 20. April 1955 deswegen zum Prozess, der mit einem Freispruch endete, da die angeklagten Lindauer Zollbeamten mit Billigung ihrer obersten Landesbehörde die Geschäfte mit den V-Männern und Probesendungen unternommen hatten und ergo wegen erwiesener Unschuld freizusprechen waren. Damit wurde die ganze Angelegenheit galant unter den Teppich gekehrt. Dir wünsche ich viel Freude mit meinen Fotos von Lindaus malerischen Hafen, wo sich einst das ehemalige Hauptzollamt befand. 🙂
























