Eines der sensationellen Verbrechen der Nachkriegszeit, das ganz Deutschland in Atmen hielt, ereignete sich 1964 in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. In der mondänen Kurstadt verschwand am 13. Februar 1964 der 7 Jahre alte Timo Rinnelt. Sein Vater der Antiquitätenhändler Joachim Rinnelt hatte bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgegeben, nachdem sein Sohn vom Spielen nicht nach Hause gekommen war. Timo Rinnelt wurde zuletzt gegen 17 Uhr vor dem Haus seiner Eltern in der Wilhelmstraße 17 lebend gesehen. Danach verlor sich jede Spur. Da Timo auch am nächsten Tag nicht auftauchte, wurde zum ersten Mal im Fernsehen eine Suchmeldung in der Hessenschau gesendet. Doch diese blieb ergebnislos. Eine der größten Suchaktionen des Nachkriegsdeutschlands begann, in der Hundertschaften der Bereitschaftspolizei und Einheiten der Bundeswehr Wiesbaden und dessen Umgebung durchkämmten, selbst der Teich im Kurpark wurde leergepumpt. Aber Timo war wie vom Erdboden verschluckt. Um Hinweise aus der Bevölkerung zu erhalten, wurde sogar in einem Schaufenster eines Kaufhauses in Wiesbaden eine Puppe ausgestellt, die exakt die Kleidung von Timo am Tag seines Verschwindens trug. Dieser hatte eine braune Cordhose, einen blauen Rollkragenpullover, einen grünen Nickipullunder und braune Lederschuhe getragen. Fünf Tage nach der Vermisstenanzeige erhielten die Eltern einen Brief, der an ihre Privatadresse geschickt worden war, die aber nicht im Telefonbuch stand. Stammte der Täter aus dem nahen Umfeld? Im Brief lag ein Schließfachschlüssel des Frankfurter Bahnhofes mit der Nummer 320. Dorthin fuhren Timos beide Stiefbrüder, die im Schließfach Timos rechten Schuh und einen Zettel mit der Notiz “15.000 DM Lösegeld” sowie “keine Polizei” mit der Aufforderung nur der Anweisung des Erpressers zu folgen fanden. Die Notiz wurde mit ausgeschnittenen Buchstaben zusammengeklebt. Nach dem Fund wurde die Wohnung der Rinnelts telefonisch überwacht und die Soko “Timo Rinnelt” mit 30 Kriminalbeamten gebildet. Noch in der Nacht ging der erste Erpresseranruf ein. In diesem versicherte sich der Erpresser, ob die Notiz gefunden worden war. Der zweite Anruf erfolgte am nächsten Tag, in dem der Erpresser nach dem Geld fragte. Danach ging ein erneuter Anruf ein. Darin gab der Erpresser an, dass im Haus der Rinnelts auf der Kellertreppe ein Brief abgelegt worden war und tatsächlich fand sich im Polizei bewachten Haus am Kellerabgang ein Brief. Wie kam dieser dort unbemerkt hin? Im Brief wurde Joachim Rinnelt folgende Instruktionen mitgeteilt. Er sollte zu einer Wiesbadener Telefonzelle an den Hauptbahnhof fahren, wo er einen Zettel mit weiteren Anweisungen vorfand. In diesem wurde er aufgefordert zu einer Telefonzelle auf dem Wiesbadener Marktplatz zu gehen. Diese nervenaufreibende Schnitzeljagd ging von Telefonzelle zu Telefonzelle, jedoch ohne weitere Hinweise auf Timo Rinnelt und die Lösegeldübergabe zu erhalten. Aber warum dauerte alles so lange? Jeder Kidnapper versucht doch so schnell wie möglich das Lösegeld zu erhalten. Die Ermittlungen verliefen schleppend und dann wurde auch noch am 21. Februar 1964 die von der Polizei verordnete Nachrichtensperre über die Entführung gebrochen, was ein wahres Medienspektakel auslöste. Informationen erhielt die Presse sogar aus erster Hand, da ein 23 Jahre alter Arztsohn namens Klaus Lehnert, der bei seiner Mutter seines Stiefvaters im selben Haus wie die Rinnelts wohnte, die Presse mit Informationen versorgte. Die Belohnung zur Klärung des Falls lag schon bei 50.000 DM. Viele Trittbrettfahrer wollten das Leid der Familie Rinnelt für sich ausnutzen. Da die Familie 1959 aus Bautzen in die BRD übergesiedelt war, machte sich die DDR den Kriminalfall aus propagandistischen Gründen zum Nutzen. In der Kriminalreihe “Kriminalfälle ohne Beispiel” des DDR-Fernsehens wurde dieser unter dem Titel “Der Fall Timo Rinnelt” am 5. Februar 1967 ausgestrahlt. Danach entstand der Zweiteiler “Das Verbrechen an Timo Rinnelt und seine Aufklärung”, der am 27. und 28. Dezember 1969 ausgestrahlt wurde. Nach 6 Wochen tappte die Polizei noch immer im Dunkeln. Schließlich wurde die Soko “Timo Rinnelt” aufgelöst. Auch die Ausstrahlung eines Tonbandmitschnittes der Stimme des Erpressers am 7. März 1964 in Fernsehen und Rundfunk, brachte keinen Erfolg. Erst drei Jahre später kam es dank eines Artikels, der am 20. April 1967 im Wiesbadener Kurier erschien, zur sukzessiven Aufklärung des Falls. Der Artikel “An ihrer Stimme wird man sie demnächst erkennen” handelte von der neuen Methode der Täter-Identifizierung anhand von Stimmabdrücken. In dieser Methode lassen sich aus Tonbandaufzeichnungen einer menschlichen Stimme Sprach-Spektrogramme anfertigen, selbst bei verstellten Stimmen, die unverwechselbar und für jeden Menschen charakteristisch wie Fingerabdrücke sind. Diesen Artikel las der Erpresser von Timo Rinnelt und geriet in Panik, da seine Stimme im Tonarchiv der Polizei eingelagert war. Der Täter versuchte nun die Geschichte anonym an die Münchner Illustrierte “Quick” zu verkaufen, um sich ins Ausland abzusetzen. Am 26. April 1967 ging der erste Brief dort ein, in dem der Täter anonym die Entführung gestand. Der Brief war in Wiesbaden abgestempelt worden. Die Wiesbadener Kripo tat den Brief zunächst als kalten Kaffee ab. Arbeitete aber fortan mit der Münchner Illustrierten zusammen. Insgesamt 5 Briefe vom Erpresser gingen bei der Illustrierten ein. Der Täter wollte zwei Interviews von 5 Minuten gegen 15.000 DM Honorar der Illustrierten geben. Die Reporter sollten sich im Park-Hotel in Wiesbaden einmieten. Als Zeichen des Einverständnisses sollten sie am 1. Mai 1967 eine Anzeige im Wiesbadener Kurier mit dem Text “7-Zimmer-Villa zu mieten gesucht” aufgeben, was sie auch taten. Doch der Täter reagierte darauf nicht. Dann wurde am 3. Mai 1967 ein weiterer Brief aufgegeben. Der Erpresser versuchte die Reporter mit Timos zweitem Schuh zu locken. Als Symbol der Verständigung sollte der Reporter Jenö Kovacs mit seiner weißen Mercedes-Limousine in der Großen Bergstraße mit eingeschalteten Standlicht parken. Die Polizei überwachte die Aktion, aber es passierte nichts. Am 10. Mai ging ein dritter Brief bei der Illustrierten ein, in dem der Täter mitteilte, dass er Timos Schuh nicht mehr habe, dafür aber dessen Strumpf in der Karl-Hoffmann-Hütte versteckt hatte. Tatsächlich fand der Reporter Carl-Heinz Mühmel in der Hütte einen Plastikbeutel, in dem ein Kinderstrumpf lag, an dem Leichengewebe anhaftete. Die Polizei und die Quick-Reporter warteten auf Signale des Täters, der nicht reagierte. Abermals setzten diese am 17. Mai eine Anzeige im Wiesbadener Kurier auf, in dem sie den Kovac-Mercedes zum Kauf für nur noch 3 Tage anboten. Noch am selben Tag erhielten die Reporter einen vierten Brief. Darin forderte der Täter, dass die Reporter 15.000 DM für weitere Infos bereit halten sollten. Statt des Reporters wurde der Kriminalbeamte Waldemar van Rhee für die Geldübergabe eingesetzt. Dieser machte sich am Abend des 18. Mai auf den Weg zum Park-Hotel. Dort entdeckte er einen jungen Mann an einem Café-Tisch, den er zu gut von den Rinnelt Ermittlungen kannte. Es war der 26 Jahre alte Arztsohn, Presseinformant und Nachbar Klaus Lehnert. Sofort wurden Fotos von Klaus Lehnert an die Observationsgruppen der Kripo verteilt. Doch es geschah nichts an jenem Abend. Dann meldete sich der Täter mit einem 5. Brief. Der Reporter sollte zum Kriegerdenkmal in das Nerotal kommen. Wieder wurde dieser von dem Kriminalbeamten van Rhee gedoubelt. Auf dem Sockel des Kriegerdenkmals fand er eine Postkarte, die ihn zum Aussichtstempel auf den Neroberg schickte. Dort fand er wieder eine Karte, die ihn zum Kriegerdenkmal zurückführte. Insgesamt 4 Karten fand van Rhee, die ihn schließlich zu einem Parkweg führten. Dort lag eine Zeitung mit der Mitteilung die 15.000 DM darin zu deponieren. In diese legte er ein Päckchen mit farbigen Papierblättern im Format von 50-DM-Scheinen, beidseitig durch 50-DM-Scheine abgedeckt. Zudem hatten Experten des LKAs einen Feuerwerkskörper, der durch ein feines Kabel mit dem Geldpaket verbunden war, angebracht. Doch die Zeitung wurde nicht abgeholt. Jedoch war einigen Kripo-Beamten nachts ein Spaziergänger aufgefallen, der dem Mann auf dem vervielfältigten Foto glich. Klaus Lehnert, dessen VW mit dem Kennzeichen WI-XE78 mehrfach bei den vereinbarten Treffpunkten mit dem Täter aufgefallen war, wurde am 24. Mai 1967 verhaftet. In seiner Wohnung in der Viktoriastraße 11 fanden die Beamten eine Schreibmaschine, auf denen die Briefe an die Münchner Illustrierte Quick getippt worden waren. Klaus Lehnert schwieg jedoch. Erst als ein Rechtsanwalt von der Verhaftung von Klaus Lehnert am 29. Mai 1967 erfuhr, der seine Kanzlei in den Räumen hatte, in denen Lehnerts Vater als Arzt praktiziert hatte, verständigte dieser die Polizei, da die Kellerräume immer noch der Familie Lehnert gehörten. Als die Polizeibeamten den Keller durchsuchten, entdeckten sie Timos Rinnelts Leiche, die in einer Plastiktüte und einen Teppich gewickelt war. Timo Rinnelt war mit einem fünffach verknoteten Elektrokabel erwürgt worden. Außerdem wurde festgestellt, dass Timos Cordhose geöffnet war. Klaus Lehnert gestand nun endlich den Mord an Timo Rinnelt. Er hatte am 13. Februar 1964 seinen Nachbarsjungen Timo Rinnelt auf der Straße getroffen und diesen gefragt, ob er ihm helfen wollte, eine Schale aus dem Keller in der Wilhelmstraße 58, wo sich die Arztpraxis seines Vaters befand, zu holen, die er zum Entwickeln seiner Fotoarbeiten brauchte. Im Keller hatte er plötzlich einen “Blackout”. Er konnte sich an nichts mehr erinnern. Aber Timo Rinnelt war tot. Klaus Lehnert, Timos Nachbar, hatte ihn ermordet und jahrelang die Familie Rinnelt durch inszenierte Erpresserbriefe gequält. Am 17. Juli 1968 begann der Prozess unter großem Medieninteresse, in dem die Bevölkerung Klaus Lehnert, den Arztsohn, der es zu nichts im Leben gebracht hatte, am liebsten lynchen wollte. Eine Psychologin attestierte Klaus Lehnert zwar eine Persönlichkeitsstörung, doch dieser wurde zu lebenslänglich wegen des heimtückischen Mordes an Timo Rinnelt verurteilt. Warum Timo Rinnelt sterben musste, diese Antwort blieb der inzwischen frei gelassene Klaus Lehnert, der seinen Namen änderte, bis heute schuldig. Dir wünsche ich viel Freude mit meinen Fotos von Wiesbaden, in dem Timo Rinnelt bis zu seiner grausamen Ermordung gelebt hatte. 🙂














