Zur falschen Zeit, am falschen Ort

Isabella Müller Wien

An seinem dienstfreien Tag, am 20. Februar 1995, war der 44 Jahre alte Kriminalbeamte Christian Gillinger schon früh auf den Beinen, um in einer kleinen Konditorei in Wien-Hietzing für die Geburtstagsfeier seines 8 Jahren alten Sohn dessen geliebte Krapfen zu kaufen. Plötzlich betrat ein junger, dunkelhaariger Mann das kleine Café und lief zielgerichtet zu einem Tisch, an dem ein Mann im mittleren Alter und eine Frau frühstückten. Er zog völlig unerwartet einen Revolver und schoss dem Mann in den Arm, dann wandte er sich ab, um zu gehen. Überlegte es sich aber anders und schoss dem Mann noch ins Bein. Danach flüchtete er. Christian Gillinger rannte dem Mann sofort nach, der panikartig in eine Sackgasse gelaufen war. Als er seinen Verfolger bemerkte, schoss er auf diesen, Gillinger erwiderte mit einem kleinkalibrigen Revolver das Feuer. Dann fuhr zufällig ein LKW vorbei. Blitzartig sprang der junge Mann auf dessen hintere Bordwand. Gillinger hielt daraufhin eine Autofahrerin an, die nun den LKW zusammen mit dem Kriminalbeamten verfolgte. Wegen einer roten Ampel mussten beide Fahrzeuge nahe des Schlosses Schönbrunn anhalten. Der junge Mann sprang vom LKW und lief zu Gillinger. Aus 20 Zentimeter Entfernung traf er diesen im Oberschenkel, danach streifte ein 2. Schuss aus 10 Zentimeter Entfernung Gillingers Arm. Diese Kugel bohrte sich durch die Lunge bis zur Wirbelsäule. Gillinger, der nur Krapfen für seinen Sohn holen wollte, war sofort tot. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Sein Mörder floh zunächst per Fuß, kehrte dann jedoch zur PKW-Fahrerin zurück und nahm deren Auto. Kurze Zeit später stellte er das Fluchtauto im 14. Wiener Gemeindebezirk Penzing ab. Das eigentliche Opfer stellte sich als der Rechtsanwalt Jürgen Lahner heraus, der nach den Schüssen von zwei Krankenpflegern sofort versorgt wurde, die zufällig ebenfalls im Café gefrühstückt hatten. Bei dem Transport ins Krankenhaus berichtete der Anwalt einem mitfahrenden Polizisten, dass er in letzter Zeit schon öfters bedroht worden war. Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren. Zeugen berichteten von zwei jungen Männern. Bevor der Attentäter das Café aufsuchte, hatte er sich mit einem anderen blonden, jungen Mann unterhalten. Nachdem Attentat flüchteten beide in unterschiedliche Richtungen. Außerdem fiel den Zeugen ein roter Alfa Romeo mit Schweizer Kennzeichen auf. Bereits um 9.15 Uhr wurde bei der Wiener Stadtgrenze bei Purkersdorf ein roter Alfa Romeo mit Schweizer Kennzeichen angehalten. Darin saßen zwei junge Männer. Der Fahrer war ein 33 Jahre alter italienischer Fitnesstrainer namens Luca Domenico. Bei seinem Beifahrer handelte es sich um den Schweizer Piloten Simon Widmer. Da die Täterbeschreibung auf den Fahrer passte, wurde dieser aufs Kommissariat Hietzing mitgenommen. Doch die Gegenüberstellung mit den Zeugen ergab keine eindeutige Identifizierung. Domenico durfte das Kommissariat ohne Schmauchspurentest wieder verlassen. Währenddessen überprüften die Kriminalbeamten das Anwaltsbüro von Jürgen Lahner. Aus seinen Akten ging hervor, dass er im März 1994 vor einem Heurigen in Hietzing von einem Mann verprügelt worden war. Auch im April war Lahner von einem Mann niedergeschlagen und mit einem Elektroschocker gefoltert worden. Im Mai hatte er einen Drohbrief aus Prag erhalten. Wer drohte Jürgen Lahner und warum? Mit diesen Fragen konfrontiert, war sich Lahner sicher, dass es sich um keine Botschaft aus der Unterwelt handelte, sondern vielmehr um das Scheidungsverfahren von Rampold ging. Dieser vertrat den 61 Jahre alte Bauunternehmer Rudolf Rampold bei der Scheidung seiner 47 Jahre alten Ehefrau, der Anwältin Friedericke Rampold. Lahner hatte dessen Frau für die Steuerschulden ihres Ehemannes in Höhe von 13 Millionen Euro verantwortlich gemacht. Lahner klagte sie an und bekam in zwei Zivilprozessen Recht. Friedericke Rampold sollte Ende April 1994 3 Millionen Euro erhalten. Doch statt des Geldes, kamen nur Klagen auf sie zu. Beide Ehepaare lebten nun im Ausland. Rampold hatte sich nach der angeblichen Schmiergeldaffäre in die Schweiz abgesetzt, während seine Frau mit ihrem jungen Liebhaber, dem 34 Jahre alten Slowenen Marjan Krajic in Südfrankreich lebte. Das Ehepaar reiste zur Vernehmung ins Kommissariat nach Wien an. Dort klickten die Handschellen für ihren Liebhaber, der Friedericke Rampold begleitet hatte. Denn sowohl Luca Domenico als auch Simon Widmer waren Mitglieder in dessen ehemaligen Fitnessclub. Die Kriminalbeamten waren sich sicher, dass Marjan Krajic diese beauftragt hatte, das Attentat auf den Anwalt Lahner zu verüben. In der Zwischenzeit waren zwei Beamte nach Zürich geflogen. Diese verhörten sowohl den Piloten Simon Widmer, als auch Luca Domenico. Da Schweizer Staatsbürger nach dem internationalen Abkommen nicht nach Österreich ausgeliefert werden, musste sich Simon Widmer wegen Beihilfe in der Schweiz vor Gericht verantworten. Luca Domenico hingegen machte davon nicht Gebrauch und begab sich ohne bürokratischen Aufwand nach Wien, wo er gestand auf den Anwalt Jürgen Lahner geschossen und Christian Gillinger getötet zu haben. Die Tatwaffe eine Smith & Wesson 38 Special hatte er auf der Flucht Richtung Purkersdorf unweit des Bahnhofs weggeworfen. Tatsächlich wurde die Tatwaffe dort gefunden, deren Fabrikationsnummer ausgefräst war. Als Auftraggeber nannte Luca Domenico den Piloten Simon Widmer, der ihm die Pistole besorgt und eine hohe Summe in Aussicht gestellt hatte, wenn er den Anwalt durch Schüsse in den Arm und das Bein einschüchtere. Simon Widmer hatte Luca Domenico nach Wien gefahren, wo sie in einem Hotel beim Auhof eincheckten. Am nächsten Morgen fuhren sie zur Konditorei in Hietzing, in der Lahner für gewöhnlich frühstückte. Widmer kaufte etwas, um sicher zu stellen, dass Lahner dort war. Dann führte Luca Domenico den Auftrag aus. Er konnte nicht ahnen, dass ausgerechnet an diesem Tag der Kriminalbeamte Gillinger beim Schussattentat zugegen war. Simon Widmer bestätigte die Aussage von Domenico, nannte aber Friedericke Rampold als Anstifterin. Simon Widmer berichtete, dass Krajic ihm von den Schwierigkeiten seiner Freundin im Scheidungsverfahren während eines Trainings im Fitnesscenter erzählt hatte. Danach spionierte er Lahner aus. Krajic wollte, dass Widmer nun Lahner einen Denkzettel verpassen sollte. Doch dieser lehnte ab und heuerte daraufhin Luca Domenico an, der die Angriffen auf Lahner im März und April ausführte. Friedericke Rampold bestritt dies. Doch aufgrund der erdrückenden Beweise wurde diese verhaftet. Die Kriminalbeamten waren sich sicher, dass Friedericke Rampold und Marjan Krajic die Drahtzieher hinter dem Attentat auf den Anwalt Lahner waren. Der Pilot Widmer hatte die Rolle des Organisators, der Luca Domenico angeheuerte hatte, damit dieser die Taten ausführte. Es stellte sich heraus, dass nach dem Attentat auf Lahner ein Anschlag auf Rudolf Rampold geplant war. Dieser sollte ermordet werden. Bereits im Herbst 1993 hatte Friedericke Rampold Simon Widmer und Luca Domenico zur Ermordung ihres Ehegatten für 7.300 Euro engagiert. Am 6. April 1995 startete der Prozess gegen Friedericke Rampold und Marjan Krajic wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung und Nötigung. Beide wurden vom Gericht für schuldig befunden. Marjian Krajic wurde zu 3 Jahren Haft verurteilt. Friedericke Rampold wurde zu 2,5 Jahren Haft verurteilt, ging jedoch im Herbst 1995 in Revision. Durch die Weihnachtsamnestie wurde ihr die Hälfte der Haftstrafe erlassen. Simon Widmer wurde wegen Beihilfe zum Schussattentat in der Schweiz der Prozess gemacht. Luca Domenico musste sich wegen des Mordes an dem Kriminalbeamten Christian Gillinger im Oktober 1995 vor den Wiener Richtern verantworten. Da er glaubhaft den Geschworenen versicherte, seinen Verfolger lediglich die Waffe aus der Hand schießen gewollt zu haben, wurde er wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu neun Jahren Haft verurteilt. So endete einer der mörderischsten Rosenkriege. Dir wünsche ich viel Freude mit meinen Fotos vom Schloss Schönbrunn im 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing, wo sich das kleine Café befand, in dem das Unglück seinen Lauf genommen hatte. 🙂

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